«Zusammen singen ist gut fürs Gehirn»

Hirnforscherin Barbara Studer ermuntert die Menschen, statt bloss zusammen Kaffee zu trinken, auch zusammen zu singen. Neben Musik helfen auch Tanzen, Gedächtnistraining und eine Prise Humor, um sich geistig fit zu halten.

Barbara Studer ist Neurowissenschafterin an der Uni Bern und Gründerin eines Unternehmens für die Gesundheit des Gehirns. Foto zVg

Wann haben Sie sich das letzte Mal geärgert, weil Sie etwas vergassen? Oder vielleicht auch gelacht?
Barbara Studer: Etwas zu vergessen gehört zu meinem vollen Alltag. Und damit habe ich mich versöhnt. Ich habe mir angewöhnt, in solchen Situationen lieber zu lachen, als mich zu ärgern. Dies empfehle ich auch anderen Leuten. So kann man besser mit einer Situation umgehen, und die Chance ist grösser, dass man es das nächste Mal nicht mehr vergisst.

Ältere Leute vergessen öfter mal, zum Beispiel die Namen anderer Menschen. Ein Grund zur Besorgnis?
Nein, gar nicht. Zwar verändert sich das Gehirn im Alter, es wird aber nicht grundsätzlich schlechter, nur ein wenig langsamer. Man hat dafür viel mehr Erfahrung und Weisheit. Und man kennt mehr Leute – entsprechend wird das Erinnern von Namen schwieriger. Erst wer im Alltag stark beeinträchtigt wird und regelmässig sehr wichtige Dinge vergisst, sollte sich sorgen.

Was kann man tun, um sich im Alter geistig fit zu halten?
Das Wichtigste ist, sich zuzutrauen, jeden Tag Neues zu lernen und auszuprobieren. Man sollte also der täglichen Routine bis zu einem gewissen Grad entfliehen. Zweitens ist es ratsam, Tätigkeiten auszuüben, die man als sinnhaft empfindet. Nach der Pensionierung kann dies ein Engagement in einem Verein oder die Betreuung von Enkelkindern sein. Drittens sollte man andere Menschen treffen. Einsamkeit lässt das Gehirn schneller altern.

«Im Alter wird das Gehirn nicht grundsätzlich schlechter, nur ein wenig langsamer.»

Sie sagen, es sei besonders sinnvoll, etwas Neues zu lernen. Heisst dies zum Beispiel, ein neues Hobby zu ergreifen?
Ja, das ist so. Dies kann ein neues Instrument sein. Oder sich mit einem anderen Thema auseinanderzusetzen. Wenn man ein neues Hobby pflegt, lernt man auch neue Leute kennen.

Tanzen soll ebenfalls sehr gut sein, weil man sich bewegen und gleichzeitig das Gehirn aktivieren muss. Korrekt?
In der Tat. Tanzen vereinigt Musik, Rhythmus, Bewegung, Choreografie. Und man macht es mit anderen Menschen zusammen, fühlt sich also mit ihnen verbunden.

Wie fördert man das Gedächtnis am besten? Ich spiele zum Beispiel regelmässig Schach ...
Schach ist gut, weil man vorausdenken muss, welchen Zug das Gegenüber als Nächstes machen wird. Ich empfehle auch Memory und andere Spiele. Bei unserer Firma hirncoach.ch bieten wir online Trainingsaufgaben an, wir nennen es Hirnjogging. Diese passen sich den Fähigkeiten des Nutzenden an – sicher ein Vorteil. Eine gute Übung ist auch, für das Einkaufen im Laden keinen Zettel zu schreiben, sondern sich die Dinge mittels Gedankenstützen und Eselsbrücken zu merken.

Man könnte einwenden: Nun muss man sich im Alter neben der körperlichen auch um die geistige Fitness kümmern und sich selbst optimieren. Kann man nicht einfach den Lebensabend geniessen?
Ich finde, das Gehirn fit zu halten, ist etwas vom Schönsten und Erfüllendsten, was man tun kann. Wenn das Gehirn fit ist, hat man mehr vom Leben und eine bessere Wahrnehmung. Wichtig ist aber, etwas zu lernen, das einem Spass macht, gerade wenn man ein neues Hobby lernt. Gemeinsames Tanzen oder zusammen Spiele zu machen, kann ja viel Freude bereiten.

Sie sind Neurowissenschafterin an der Uni Bern und haben eine Firma für Hirngesund- heit gegründet. Wie kam es dazu?
Ich nervte mich, weil im Internet Hirnjogging-Aufgaben angeboten werden, die nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Ich war und bin immer noch in der Gedächtnisforschung tätig. Aus diesem Ärger entstand der Impuls, selbst eine Firma zu gründen und es besser zu machen mit wissenschaftlich fundierten Programmen, die das Gehirn stärken.

Wie läuft es mit Ihrem vor vier Jahren gegründeten Unternehmen?
Ich bin sehr zufrieden. Wir haben inzwischen Programme für Leute in jedem Alter und eine wachsende Anzahl toller Mitarbeitender. Zudem sind wir auch an Schulen tätig, damit Jugendliche lernen, wie sie ihre mentale Gesundheit schützen und stärken können. Dies ist eine gute Grundlage für die Entwicklung eines Menschen.

Was können jüngere Menschen konkret tun?
Es geht um einen guten Umgang mit Emotionen und Stress. Man sollte negative Emotionen nicht zu stark in sich aufnehmen. Sonst kann dies psychische Beschwerden verursachen. Ein Problem ergibt sich auch, wenn man seine Emotionen nicht ausdrücken kann. Manchmal versucht man, dies mit Gamen, Alkohol oder anderen Substanzen zu kompensieren. Ein guter Umgang mit digitalen Medien ist ebenfalls wichtig. Wer dies früh lernt, kann das ganze Leben davon profitieren.

«Junge Menschen sind sehr gut darin, Neues auszuprobieren. Auch Neugier gegenüber Technologie zeichnet sie aus.»

Gibt es etwas, das ältere Menschen von Jungen lernen können in Bezug auf die Hirngesundheit?
Gute Frage ... Junge Menschen sind sehr gut darin, Neues auszuprobieren. Auch Neugier gegenüber der Technologie zeichnet sie aus. Dies kann zum Beispiel eine neue App sein oder KI. Künstliche Intelligenz kennenzulernen, lohnt sich. Das heisst nicht, dass man sie dann für alles verwenden soll.

Sie sind selbst Musikerin. Was kann die Tonkunst Positives bewirken fürs Gehirn?
Aktives Hören von Musik ist bereits sehr gut für das Gehirn. Dies kann man nutzen, um sich zu beruhigen oder um das Gehirn zu aktivieren. Zudem finde ich, dass alle Menschen auch Musik machen sollten, weil es kaum etwas gibt, das dem Gehirn besser tut. Ich rate, jeden Tag zu singen. Dies ist gut für die Stimmbänder und die Lunge, aber auch fürs Gehirn. Es fördert die Neuroplastizität, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns. Ich ermuntere die Menschen, statt bloss zusammen zu «käffele», nach dem Kaffeetrinken auch noch gemeinsam zu singen. Und generell das Singen mehr in den Alltag zu integrieren.

Welchen persönlichen Bezug zur Musik haben Sie?
Seit meiner Kindheit singe ich und spiele Klavier, Geige und Schlagzeug. Und ich musiziere in Bands. Zurzeit lerne ich zusammen mit meinem Sohn, Cello zu spielen. Das macht ihm und mir viel Freude! Ich möchte auch später neue Instrumente erkunden. Ich denke, dass man dies grundsätzlich auch im hohen Alter noch tun kann und tun sollte.