Der Verein als Schule der Demokratie

Es gibt sie zu Zehntausenden landauf landab, und sie gehören gewissermassen zur DNA der Schweiz: die Vereine. Diese seien wichtig für das Erlernen der Demokratie, sagt Fanni Dahinden von der Fachstelle Vitamin B in Zürich. Sie berät und unterstützt ehrenamtliche Vereinsvorstände und weiss, wo diese der Schuh drückt.

Der Trachtenchor Stans. Traditionelleren Vereinen geht oft der Nachwuchs aus und sie müssen sich neu ausrichten.
Der Trachtenchor Stans. Traditionelleren Vereinen geht oft der Nachwuchs aus und sie müssen sich neu ausrichten. (Keystone/Peter Schneider)

Vereine prägen das Leben der Menschen in der Schweiz von der Wiege bis zur Bahre: Vom Geburtshaus über die Spielgruppe, über den Chor und den Sportclub bis schliesslich zum Panther-Club für Senioren – hinter allem steht ein Verein. Und nach unserem Ableben sorgt vielleicht ein Kremationsverein für eine würdige Bestattung.

Rund 70'000 bis 100'000 Vereine gibt es in der Schweiz – genaue Zahlen existieren keine, weil es in der Schweiz nicht nötig ist, sie staatlich zu registrieren.

"Dies überrascht Personen aus dem Ausland häufig", sagt Christa Camponovo im kleinen Büro der Geschäftsstelle von Vitamin B in Zürich. Sie ist die ehemalige Leiterin und heute als Beraterin für die Organisation tätig.

Ohne grosse Aufsicht

Dies umso mehr, als auch die FIFA als Verein konstituiert ist. Der mächtige Fussball-Weltverband ist aber im Handelsregister eingetragen – er steht seit Jahrzehnten wegen Korruption von Spitzenfunktionären in den Schlagzeilen.

Die Fachstelle Vitamin B unterstützt und berät freiwillige und unbezahlte Vereinsvorstände. Finanziert wird sie vom Migros-Kulturprozent. In vielen Staaten müssen Vereine durch die Behörden registriert werden.

In Deutschland etwa steht hinter dem Vereinsnamen die Abkürzung e. V.. Sie steht für "eingetragener Verein". In Staaten mit autoritären Regimes kann die Registrierungspflicht auch ein Mittel der Kontrolle oder gar Unterdrückung ein.

Unkomplizierte Gründung

Aber wieder zurück in die Schweiz: Drei Personen reichen zur Gründung eines Vereins. Dazu braucht es Statuten, die den Vereinszweck definieren, sowie einen Vorstand – damit hat sich’s schon.

Die relativ einfache und rasche Gründung ist nicht der einzige Vorteil. Ein solcher ist auch die Haftungsbeschränkung: Vereine haften nur mit ihrem Vereinsvermögen. Wenn eine Gruppe von Personen für ideelle Zwecke ein Bankkonto eröffnen möchte, würden sie oft einen Verein gründen, sagt Camponovo.

Hochdekoriert: An der Schweizerischen Rammlerschau werden alle drei Jahre die schönsten Rassekaninchen prämiert und deren Züchter mit Medaillen ausgezeichnet.
Hochdekoriert: An der Schweizerischen Rammlerschau werden alle drei Jahre die schönsten Rassekaninchen prämiert und deren Züchter mit Medaillen ausgezeichnet. (Keystone/Peter Klaunzer)

Lernfeld zum Reden und Zuhören

Vereine seien auch wichtig für das Erlernen der Demokratie, sagt Fanni Dahinden, Geschäftsführerin von Vitamin B. "Sie haben demokratische Strukturen, das höchste Organ ist die Mitgliederversammlung." Zentral sei die Entscheidungsfindung mittels von Kompromissen. Vereinspräsidenten könnten die Organisationen nicht wie ein CEO führen, ergänzt Camponovo.

Genau hier liegen Probleme, auf welche die beiden Frauen bei ihren Einsätzen immer wieder stossen. Es gab schon Fälle, wo Präsidenten die Einnahmen und Ausgaben hätten geheim halten wollen. Das gehe natürlich nicht, so Camponovo.

Kinder der helvetischen Revolution...

Sind Vereine also eine Art Gegenstück zu Firmen, die meist straff von oben nach unten geführt werden und die einen klaren Chef, den CEO, an der Spitze haben?

Ihre Wurzeln haben die Vereine im Zeitalter der Aufklärung, als sich ab dem Jahr 1700 Private in so genannten Sozietäten zusammenschlossen und über öffentliche Fragen debattierten.

Entfalten konnten sich Vereine dann richtig ab der Helvetischen Revolution im Jahre 1798, als die Zünfte abgeschafft wurden. Es waren dies zwangsweise Vereinigungen von Personen gleichen Standes oder Berufes. Die Basler Historikerin Beatrice Schumacher publizierte im Auftrag von Vitamin B jüngst eine Studie zur Geschichte der Vereine in der Schweiz.

Schumacher findet, man solle Vereine nicht idealisieren. "Vereine dienten oft auch der Durchsetzung der Interessen bestimmter Gruppen", sagt sie. So waren Vereine lange Zeit durch Männer aus dem Bürgertum geprägt, Frauen und Arbeiter blieben aussen vor.

Schiess- und Blasmusikvereine zum Beispiel nahmen Frauen erst ab den 1970er-Jahren auf. Zudem hätten einfache Mitglieder in Vereinen manchmal nicht sehr viel zu sagen, weil der Vorstand alles bestimme, so die Historikerin. "Es stellt sich die Frage, ob Genossenschaften nicht demokratischer sind."

... und Abbild des Zeitgeists

Die Popularität von Vereinen ist jedoch ungebrochen. Jedes Jahr gibt es zahlreiche Neugründungen. Solche finden im Moment etwa in den Bereichen Urban Gardening oder vegane Ernährung statt. Und seit mehr Flüchtlinge nach Europa kommen, bilden sich auch Vereine im Bereich der Integration.

Flüchtlingsorganisationen, die sich zum Beispiel in Griechenland engagieren, hätten zurzeit keine Probleme, neues Personal zu finden, weiss Camponovo. Und in der Schweiz führe die Einrichtung von Asylunterkünften oft zu mehr Engagement von Freiwilligen. Gerade in ländlichen Regionen. Die Helfer bieten zum Beispiel Deutschkurse an.

Zudem reisen Schweizerinnen und Schweizer gern ins Ausland – und gründen nach ihrer Rückkehr aus Ländern des Südens oder Asiens ein Hilfsprojekt.

Traditionelle Vereine dagegen haben eher Mühe, neue Mitglieder zu finden. Die Mitarbeiterinnen von Vitamin B sind dann gefordert und helfen den Vereinen, sich neu zu positionieren.

In der Stadt Zürich hat beispielsweise der Quartierverein Entlisberg einen Hühnerhof eingerichtet. Über die Betreuung der Tiere finden die Bewohner neue nachbarschaftliche Kontakte. Oder ein Frauenverein bietet neu jetzt Deutschkurse im Park an. Wenn die Mitglieder bereit sind, sich auf Neues einzulassen, haben die Vereine also durchaus eine Zukunft.

 


 

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