Ist da jemand?

Die Chance ist gross, dass auch ausserhalb der Erde irgendeine Form von Leben existiert. Der junge Schweizer Nasa-Forscher Florian Kehl brennt darauf, einen Beweis dafür zu finden.                                                                                                                                

Florian Kehl vor dem Jupiter
Immer dem Wasser nach: Florian Kehl (35) vor einer Ansicht des Jupiters und dessen Mondes Europa. Foto: Christian Schnur

Er ist gross, athletisch und steht beim Zürcher Central neben dem Eingang der Polybahn. Ein kurzes Lächeln, ein bestimmter Händedruck, das Ticket hat Florian Kehl (35) bereits gelöst. Wenn er Gelegenheit hätte, würde er schon morgen in eine Rakete steigen und auf den Mond fliegen, wird er später sagen. Nun aber geht es erst ruckelnd mit der vollautomatischen Standseilbahn hoch zum Hauptgebäude der ETH Zürich. Dichter Nebel hängt an diesem Morgen über der Stadt. Von der Polyterrasse aus sind nur die Zinnen und Türme Zürichs zu erkennen, die Berge bleiben hinter einem grauen Schleier verborgen.

Florian Kehl arbeitet seit vier Jahren am renommierten Jet Propulsion Laboratory (JPL) der US-Weltraumbehörde Nasa in Pasadena, einem Vorort von Los Angeles. Dort forscht er nach ausserirdischem Leben auf den Planeten unseres Sonnensystems. Über den Jahreswechsel ist er zu Besuch in die Schweiz gekommen. Ein paar Tage zuvor wanderte er mit seinem achtjährigen Neffen und dessen Familie am Zürcher Uetliberg ein Stück auf dem Planetenweg. «Es ist faszinierend, wenn man sich die Distanzen in unserem Sonnensystem vergegenwärtigt», sagt Florian Kehl. Ein Schritt auf dem Planetenweg entspricht einer Distanz von fast einer Million Kilometern.

Eine Raumsonde, die durchs All düst, braucht rund sieben Monate von der Erde bis zum Mars. Der Nachbarplanet der Erde, auch der Rote Planet genannt, ist eines der Forschungsobjekte Kehls. Wer die Distanz zum Mars mit der Polybahn zurückzulegen hätte, brauchte dafür mindestens neun Leben.

Florian Kehl hat sich bereits als kleiner Junge für den Weltraum interessiert. Als Elfjähriger hielt er an der Schule in Buchs SG, wo er aufwuchs, einen Vortrag über die Pathfinder-Mission von 1996. Damals gelang es der Nasa zum ersten Mal, auf dem Mars ein ferngesteuertes Roboterfahrzeug zu landen. Um seiner Klasse die Mission zu erklären, fertigte Kehl aus dem populärwissenschaftlichen Magazin «P. M.» farbige Folien an.

Ein Biosensor (links), mit dem der Schweizer Forscher nach Lebensspuren sucht, beim Test in der Atacama-Wüste (Foto: Florian Kehl).

Später studierte der Sohn eines Arztes und einer Arztgehilfin in Basel Nanowissenschaften, also die Lehre von extrem kleinen Teilchen, und doktorierte an der ETH Zürich. Mit seiner Arbeit am Jet Propulsion Laboratory hat er sich einen Kindheitstraum erfüllt. Das Institut in Kalifornien baut und steuert für die Nasa Raumsonden. Ein Teil von ihnen fliegt in die Nähe von Planeten und macht Fotos, andere landen sogar dort.

Heute arbeitet Florian Kehl Tür an Tür mit den Forschern, welche die Pathfinder-Mission 1996 geplant haben, und tauscht sich mit ihnen aus. «Das ist ein wunderbares Gefühl», sagt er, nachdem wir im etwas zugigen Café in den hohen Säulenhallen der ETH Platz genommen haben. Florian Kehl treibt die Frage um, ob es auch ausserhalb der Erde Leben gibt. Ein Problem, welches die Menschen seit der Antike beschäftigt. Die heutigen Forscher erhoffen sich durch die Klärung dieser Frage, auch besser zu verstehen, wie einst das Leben auf der Erde entstand.

Eine zentrale Voraussetzung für jede Form von Leben ist flüssiges Wasser. Dank verschiedenen Erkundungen von Sonden auf dem Mars weiss man, dass der Rote Planet vor ein paar Milliarden Jahren Flüsse, Seen und ganze Ozeane beherbergte. Sehr grosse Mengen von Wasser in flüssiger Form gibt es heute zudem auf dem Jupitermond Europa und dem Saturnmond Enceladus. Wegen der riesigen Distanz zur Sonne ist es an der Oberfläche dieser beiden Monde bitterkalt. Das Wasser dort befindet sich darum unter einer dicken Eisschicht.

Energie, Chemie und Zeit

Florian Kehl und seine Kollegen folgen bei ihrer Suche nach ausserirdischem Leben dem Wasser. Sie konzentrieren sich deshalb auf diese drei Himmelskörper. Wasser allein reicht aber nicht, damit Leben entsteht. Es braucht auch Energie (von der Sonne), etwas Chemie (von den Gesteinen) und extrem viel Zeit, nämlich Millionen von Jahren.

Die JPL-Forscher bauen hochkomplexe Sensoren, die etwa die Grösse einer Kaffeemaschine besitzen und aus einem Gewirr von «Kabeln, optischen Fasern und Schläuchen bestehen», wie Florian Kehl sagt. Die Sensoren sollen dereinst mit Weltraumsonden auf dem Mars und den beiden Eismonden abgesetzt werden und dort nach Aminosäuren suchen, die als Grundbausteine des Lebens gelten und in jeder tierischen und pflanzlichen Zelle zu finden sind.

Bei dieser Suche, so Florian Kehl, gehe es nicht um grüne Marsmännchen, sondern um Kleinstlebewesen, also Mikroorganismen wie zum Beispiel Bakterien. Auch auf der Erde bestand das Leben über Jahrmillionen ausschliesslich aus Einzellern, bevor sich komplexere Organismen wie Pflanzen, Tiere und schliesslich der Mensch herausbildeten.

«Ich bin überzeugt, dass es irgendwo ausserhalb der Erde noch Leben gibt»

Bislang ist man bei der Suche nach ausserirdischem Leben nicht fündig geworden. Trotzdem sagt Florian Kehl: «Ich bin überzeugt, dass es irgendwo ausserhalb der Erde noch Leben gibt.» Das könnte auch in einem andern Sonnensystem der Fall sein. Heute geht man davon aus, dass es mindestens 100 Milliarden Galaxien gibt, also riesige Ansammlungen von Sternen wie unsere Milchstrasse. Jede Galaxie weist durchschnittlich etwa 100 Milliarden Sterne auf. Das ergibt die schwindelerregende Zahl von 10 Trilliarden Sternen – eine Zahl mit 22 Nullen! Und um diese wiederum kreisen im Durchschnitt mindestens ein oder mehrere Planeten. Die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwo Lebewesen gibt, ist also gross. Die Frage ist, ob wir es entdecken werden.

Kehl und seine Mitstreiter am Jet Propulsion Laboratory erkunden mit Hilfe von Sonden unser Sonnensystem, andere Wissenschafter erforschen mit Teleskopen die Planeten anderer Sonnensysteme, sogenannte Exoplaneten. Für die Entdeckung des ersten dieser extrem fernen Planeten heimsten die Schweizer Michel Mayor und Didier Queloz letzten Herbst den Nobelpreis für Physik ein. Ausserirdische Organismen zu entdecken, wäre ein noch viel grösserer Prestigeerfolg.

Die Sensoren für die Suche nach Leben, sogenannte Biosensoren, die Kehl mitentwickelt,waren bisher noch nicht im Weltraum im Einsatz. «Wir müssen sie erst noch testen und weiterentwickeln», sagt der Schweizer. Einen der Biosensoren hat er bereits in der Atacama-Wüste in Chile getestet (siehe Bild). Das Gerät konnte in dieser heissen und unwirtlichen Gegend Spuren von Leben nachweisen. «Das zeigt, dass die Apparatur auch auf dem Mars funktionieren könnte.»

Wenn die Geräte ausgereift sind, müssen sie sich einem internen Wettbewerb stellen, um bei einer künftigen Nasa-Mission mitgenommen zu werden. «Viele Leute arbeiten ihr ganzes Leben an der Entwicklung eines einzigen Instruments», sagt Florian Kehl. Wäre das nicht extrem frustrierend, wenn seine Geräte am Ende gar nicht ins All fliegen würden? Kehl schüttelt den Kopf. Es gebe auch viele Anwendungen von Biosensoren auf der Erde, zum Beispiel zur Aufdeckung von Gewässerverschmutzungen oder für Therapien in der Medizin.

Bei den Sternen von Hollywood

Florian Kehl bewegt sich auch privat gern hoch über der Erde. So machte er in den USA das Brevet für Privatpiloten und kurvt seither ab und zu über die sonnige Landschaft Kaliforniens. Er wohnt in Pasadena allein in einem Haus mit grossem Garten samt Papageien und Kolibris. Seine Ehefrau lebte zeitweise auch dort, vor gut einem Jahr fand die Psychologin aber eine attraktive Stelle in Zürich. Seither führen sie eine Fernbeziehung.

Der 35-Jährige kennt sich nicht nur mit den Sternen am Firmament aus, sondern auch mit den Sternchen und Stars von Hollywood. Durch einen Bekannten kam er zu einem Nebenjob als wissenschaftlicher Berater der TV-Serie «Strange Angel», welche die Fernsehkette CBS 2018 und 2019 ausstrahlte. Darin geht es um das bizarre Leben von Jack Parsons, einem Raketenerfinder und Mitgründer des JPL, an dem Florian Kehl heute arbeitet. Kehl war dafür zuständig, dass die technischen Details von Weltraumraketen und Luftfahrt stimmten. Auf dem Filmset im Paramount-Studio von Los Angeles wurde er einmal Zeuge, wie ein Schauspieler eine mathematische Formel einfach nicht richtig hinbekam. Immer wieder musste Kehl auf die Frage des Aufnahmeleiters, ob nun alles korrekt sei, den Kopf schütteln. «Die Schauspielerei ist ein hartes Business», sagt Kehl.

An den Menschen in den USA schätzt er den Optimismus und die Herzlichkeit. Im JPL-Forschungsteam sei er als Ausländer sehr freundschaftlich aufgenommen worden. Trotzdem kann er sich vorstellen, später einmal in die Schweiz zurückzukehren. «Ich fände es toll, wenn ich meinem Land etwas zurückgeben könnte.»

Nachdem wir uns verabschiedet haben, gehe ich zurück über die Polyterrasse. Einzelne Sonnenstrahlen dringen durch den Nebel, der Himmel bleibt unsichtbar. Ob irgendwo da draussen Leben existiert? Florian Kehl wird alles daran setzen, einen Beweis dafür zu finden.