Ein Tag im Leben eines Klavierbauers

Michael Meier ist Klavierbauer mit eigenem Verkaufsgeschäft und Konzertstimmer im Stadtcasino Basel. Erkältet sich ein Flügel, wird er auch mal zum Notarzt.                                                                                          

Michael Meier
Michael Meier: «Das Stimmen eines Konzertflügels verzeiht keine Fehler.» (Foto: Privat)

Wenn im Basler Stadtcasino am Abend ein grosses Konzert ansteht und ein Starpianist wie Lang Lang auftritt, bin ich schon leicht nervös. Ich gehe wenn möglich gleich am Morgen um acht Uhr in den Konzertsaal, um den Flügel zu stimmen. Den ersten Ton, das a1, stimme ich mithilfe eines elektronischen Geräts auf 442 Hertz, dann alle anderen Töne nach meinem Gehör. Ich drehe mit einem Stimmhammer vorsichtig am Wirbel jeder Saite. Dabei muss die Spannung über die ganze Saite verteilt sein, sonst verstimmt sie sich gleich wieder. In Terzen und Oktaven steige ich über die Tastatur rauf und runter. Das Ziel ist, dass alle Töne harmonieren.

Der Flügel gehört dem Stadtcasino, es handelt sich um einen Steinway D-274 im Wert von rund 200’000 Franken. Wenn die Pianistin oder der Pianist eine andere Intonation und den Klang zum Beispiel etwas weicher haben möchte, muss ich die Filze auf den Hämmern des Klaviers mit einer Nadel aufstechen. Als Konzertstimmer bin ich Dienstleister. Nach dem Konzert frage ich jeweils, ob er oder sie mit dem Klavier zufrieden war. Inzwischen kenne ich die klanglichen Vorlieben mancher Pianistinnen und Pianisten.

Über eine Schnupperlehre in Firma eingestiegen

Ich brauche rund eineinhalb Stunden, um einen Konzertflügel zu stimmen. Anschliessend gehe ich ins Geschäft, die Klavier-Service Becker GmbH in Münchenstein. Dort habe ich schon meine Lehre gemacht, seit gut drei Jahren bin ich Geschäftsführer und Inhaber. Musik habe ich schon als Kind gemacht, zunächst auf einem E-Piano. Dann kauften wir ein akustisches Klavier bei Heinz Becker, dem damaligen Firmeninhaber. Weil ich mit sechzehn genug von der Schule hatte und nicht ins Gymnasium wollte, machte ich bei ihm eine Schnupperlehre und stieg in der Firma als Lehrling für Klavierbau und -Stimmung ein. Es braucht handwerkliches Geschick, ein gutes Auge und eine Portion Geduld. Ein Klavier hat 88 Tasten, man muss im Prinzip also 88 Mal das Gleiche machen!

Später liess ich mich zum Konzertstimmer weiterbilden. Heinz Becker übte diese Aufgabe für das Stadtcasino Basel aus, ich konnte sie später übernehmen. Das Stimmen eines Konzertflügels ist sehr anspruchsvoll und verzeiht keine Fehler, deshalb muss ich stets mein Bestes geben. Meine drei Mitarbeiter und ich machen auch Klavierstimmungen für Private und führen Reparaturen durch. Zudem verkaufen wir neue Instrumente und Occasionen.

Seit den Achtzigerjahren werden in der Schweiz praktisch keine Klaviere mehr hergestellt. Viele günstige Instrumente stammen aus China oder aus Japan, wie von Yamaha. Wir führen auch zwei deutsche Marken im Sortiment. Zwar ist das Klavier an Musikschulen nach wie vor eines der beliebtesten Instrumente, da unser Geschäft aber in der Basler Industriezone Dreispitz liegt, haben wir nicht sehr viel Laufkundschaft. Wir sind deshalb froh um die Aufträge für Klavierstimmungen.

«Great job, don't touch the piano!»

Vor Konzertbeginn am Abend kontrolliere ich den Flügel nochmals. Der Kontakt mit den auftretenden Musikerinnen oder Musikern ist meist kurz, vor allem wenn alles in Ordnung ist. Einer sagte mal zu mir: «Great job, don’t touch the piano!» Als wäre nicht ich es gewesen, der es gestimmt hat.

Während des Konzerts sitze ich im Saal. Eine Saite eines Flügels ist zum Glück noch nie gerissen. Einmal bei einem Konzert im Musical Theater Basel war der Flügel aber kurz vor Konzertbeginn stark verstimmt, weil eine Tür offen gestanden und er zu viel kalte Luft abbekommen hatte. Mir blieben bloss 45 Minuten, um ihn vollständig neu zu stimmen – glücklicherweise habe ich es gerade noch geschafft.

Wenn ich nach Hause komme, ist meist viel los. Ich bin verheiratet und habe zwei kleine Buben. Es würde mich freuen, wenn sie auch mal ein Musikinstrument spielten – sie müssen ja nicht gleich ein Star wie Lang Lang werden.

Dieser Text ist in «Das Magazin» der Tamedia-Zeitungen in der Rubrik «Ein Tag im Leben» erschienen. 

 


 

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